Russische Friedens-Nobelpreisträgerin in Hallerndorf
Die Kulturreihe „Dialog im Schloss“ lockte schon einige Prominente in den Hallerndorfer Rathaussaal. Mit der russischen Professorin Irina Scherbakowa war nun sogar eine Friedens-Nobelpreisträgerin zu Gast. Ohne Zutun des renommierten Gemeindebürgers Professor Dr. Dr. h.c. Clemens Renker, einem ausgesprochenen Russland-Kenner und Freund der im deutschen Exil lebenden Menschenrechtlerin, Historikerin und Autorin, wäre dies wohl kaum möglich gewesen. Scherbakowa erhielt letztes Jahr mit der von ihr mitbegründeten Menschenrechtsorganisation Memorial den Friedensnobelpreis. Auftritte in Sälen in den großen deutschen Städten, in Talkshows vor Millionenpublikum und bei internationalen politischen Veranstaltungen bilden den Kontrastpunkt zu ihrem Impulsvortrag mit anschließender offener Diskussionsrunde im mit rund 70 Personen gefüllten, beschaulichen Hallerndorfer Rathaussaal. Bei „Wohnzimmeratmosphäre“ also, mit gedämpftem Licht und freundlichen, dem hohen Gast würdigenden Worten, begrüßte sie Bürgermeister Gerhard Bauer aufs Herzlichste.
Neben Landrat Hermann Ulm, seiner Stellvertreterin Rosi Kraus und den Landtagsabgeordneten Michael Hofmann waren auch einige Bürgermeister aus den Nachbargemeinden als Zuhörer gekommen. Gekonnt leitete der fließend russisch sprechende und aus Pautzfeld stammende Professor Renker ins Thema ein: „Russland – was tun? Eine vertrackte Situation“. Er führte den Gästen vor Augen, wie wenig wir eigentlich von Russland wissen. Im Übrigens: Ebenso wenig wie die vielen selbsternannten „Experten“ in den Talkshows, die gerade zuhauf auftreten. „Nicht eine deren Prognosen ist bislang eingetreten“, betonte Renker mit strenger Stimme. Frei nach dem Philosophen Paul Watzlawick interpretierte er es auf seine eigene Weise: „Je weniger die Leute über ein Land wissen, umso mehr reden sie mit.“ Doch: „Hat man denn eigentlich die Katastrophe überhaupt kommen sehen können?“, fragte er in die Runde. Um dann gleich selbst die Antwort zu geben: „Wir wollten es nicht sehen!“. Renker, Träger des Bundesverdienstkreuzes und aktiv im Petersburger Dialog im deutsch-russischem Forum, wird deutlich: „Wenn im Kindergarten Pistolen zusammengebaut werden, im ersten Semester an der Uni alle eine militärische Ausbildung machen müssen, für was macht man all das?.“
Als Irina Scherbakowa sich dann in den Ledersessel setzte und mit bedächtiger Stimme artig für die Einladung mit den Worten „In solchen Zeiten eine Russin einzuladen, ist nicht selbstverständlich“ bedankte, war es plötzlich mucksmäuschenstill im Saal. Keiner wollte auch nur ein Wort verpassen. Dabei wurde schnell klar, wie komplex und wie schwer es ist, die aktuelle Situation nur annähernd zu beschreiben. Scherbakowa musste, trotz fließend sprechenden Deutsch, oft nach Worten ringen. Die Historikerin spannte einen weiten Bogen, ging auf die Anfangszeiten der Gründung von „Memorial“ ebenso ein, wie der Perestroika, der zweiten Amtszeit von Jelzin bis hin zur Putin-Ära. Aufgabe von Historikern sei es nun mal auch zu ergründen, was wir falsch gemacht haben, sagte sie. Nicht ohne im nächsten Satz darauf hinzuweisen, dass es für Historiker gerade besonders schwer sei. Ob es der Wunsch nach einer „starken Hand“ war, die schließlich Putin an die Macht brachte, der erste und zweite Tschetschenien-Krieg, die nie aufgearbeitete Zeit des Sozialismus, die Sehnsucht und Propaganda nach einem mächtigen Russland wie zur Zarenzeit – sie sprach vieles an. Auch das Erwachsen der Demokratie in der Ukraine hat sie miterlebt. Nicht in den großen Städten. Nein. Auf dem Lande, auf den Dörfern, wo sie öfter zu Gast war. „Diskussionen bis aufs Blut unter Nachbarn, wenn es kurz vor einer Wahl stand“, hat sie beobachtet. „Ich sah die jungen Menschen, wie sie sich verändert haben, sich dem Westen zuwandten“, so Scherbakowa. Und dann wieder der Blick in ihr Heimatland: „Seit 2014 haben wir uns auf den Krieg vorbereitet“, sprach sie mit leiser, mit nachdenklicher und trauriger Stimme. Ihre Gedanken seine bei den vielen Menschen, die im Krieg den Tod finden. „Putin spricht mittlerweile gar nicht mehr vom Sieg. Er verspricht allen Geld, den Invaliden, den Witwen etwa. Er spricht aber nicht mehr von der Zukunft, er strebt den Machterhalt an“, hat die Friedens-Nobelpreisträgerin anhand von aktuellen Reden ausgemacht. Sie macht in der anschließenden Diskussionsrunde aber auch deutlich, eine „unverbesserliche Optimistin“ zu sein, die daran glaubt, dass es in Russland immer mehr Menschen geben wird, die den Wert von Frieden erkennen.
Bürgermeister Gerhard Bauer griff die vorsichtig optimistischen Worte der Friedens-Nobelpreisträgerin in seinem Abschluss-Plädoyer auf, in dem er wünschte, dass dass das „zarte Pflänzlein der vielen Bemühungen auf der ganzen Welt – wie eben hier der „Dialog im Schloss“ – fruchten mögen und zum Frieden führen. „Für uns war es ein aufschlussreicher Abend, auch wenn wir an manchen Stellen aufgrund der Komplexität vielleicht nicht alles ganz verstanden haben“, dankte er den beiden Protagonisten – Lokalmatador Professor Clemens Renker und der nimmermüden für Frieden kämpfenden russischen Professorin Irina Schwerbakowa für einen unvergesslichen Vortrags- und Diskussionsabend in Hallerndorf.